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Kapitel 2

Gefangen im Teufelskreis

Ausgerechnet die besten Leistungsträger merken es lange Zeit nicht: Sie stecken in einem gefährlichen Teufelskreis, der sie in den Abgrund zu ziehen droht. Es ist gut, diese Mechanismen zu kennen und Warnzeichen zu beachten, um noch rechtzeitig den Absprung zu schaffen.

Die Geschichte fing ganz harmlos an. Gelegentlich habe es Momente gegeben, in denen sie am Sinn ihrer Tätigkeit zweifelte, erzählte eine Abteilungsleiterin aus einem Versicherungskonzern. „In solchen Augenblicken fing ich an zu träumen. Ich stellte mir vor, nicht mehr nur ein Rädchen im Getriebe zu sein, sondern frei handeln und entscheiden zu können.“ Doch meistens dauerten diese Träume nur kurz. Das nächste Meeting wartete, und sie wandte sich wieder ihren täglichen Aufgaben zu. Dabei machte sie sich keine größeren Gedanken – schließlich hat ja jeder einmal farbenfrohe Tagträume, weiß aber auch, dass der Alltag in erster Linie aus Pflichterfüllung besteht. Und gar so schlecht war ihre Situation auch nicht, immerhin war sie beruflich sehr erfolgreich.

Eines Tages, wieder bei einem dieser nachdenklichen Momente, beschloss die Abteilungsleiterin dann doch, die Situation zu ändern. Da sie es gewohnt war, Nägel mit Köpfen zu machen und die Dinge anzupacken, zauderte sie nicht lange und schritt zur Tat: Sie beschaffte sich Bücher, besuchte ein Seminar und  fing an, eines der empfohlenen Konzepte umzusetzen: Analyse der Ausgangslage, Brainstorming möglicher Lösungen, Wahl einer Lösungsidee, Umsetzen der Idee. Ein wenig ungeduldig arbeitete sie sich voran, bis sie ernüchtert feststellte: „In meiner Lage funktioniert das nicht.“ So stürzte sie sich wieder in ihren Alltag, in der vagen Hoffnung, den richtigen Lösungsweg bei einem späteren Versuch zu finden. „Später eben!“
Frust über die aktuelle Situation, schöne Träume, Brainstorming, Lösungsidee, Scheitern der Idee, Rückkehr ins gewohnte Geschäft – dieses Spiel wiederholte sich noch einige Male. Letztlich blieb alles beim Alten. Die Abteilungsleiterin setzte ihre Karriere im Versicherungskonzern fort. Da sie viel zu tun hatte und zudem erfolgreich war, fiel es nicht allzu schwer, Träume und Zweifel zu verdrängen.

Als ihr eines Tages eine Stelle auf der zweiten Führungsebene, direkt unter dem Vorstand, angeboten wurde, war das nicht nur eine hohe Anerkennung ihrer Leistung, sondern auch eine phantastische Chance. Andererseits wusste sie, dass dieser Schritt nicht einfach sein würde. Um nichts falsch zu machen, suchte sie die Hilfe eines Coachs. So kam ich ins Spiel. Als Coach sollte ich die Abteilungsleiterin beim Aufstieg in die zweite Führungsebene begleiten – ein klarer Auftrag. Während der dritten Sitzung nahm der Coaching-Prozess jedoch eine unerwartete Wendung. Ganz unvermittelt zerbrach die Fassade der erfolgreichen Managerin. Mit Tränen in den Augen gestand sie ihre Unzufriedenheit mit der Situation, eine tiefe Verzweiflung wurde deutlich.

Der Zusammenbruch kam ziemlich überraschend. Die Klientin war erfolgreich, engagiert, diszipliniert. In ihrer Abteilung hatte sie viel bewegt, dafür auch Anerkennung bekommen, und stand nun vor einem Karrieresprung. Was war geschehen? Was hatte sie so unglücklich, ja verzweifelt gemacht? Nach einer Weile berichtete sie, wie sie schon vor Jahren immer wieder versucht hatte, aus ihrem bisherigen Leben auszubrechen – wie sie immer wieder einen Anlauf nahm und sich eine neue Zukunft ausmalte. „Dann stelle ich jedes Mal fest, dass das Illusionen sind. Die Ideen sind in meiner Situation alle nicht umsetzbar. Und die schöne, farbige, blumige Vision zerfällt vor meinen Augen.“ Wieder kämpfte sie mit den Tränen. Zum ersten Mal seit langer Zeit drängten ihr die eigenen Wünsche ins Bewusstsein und sie erkannte die Kluft zu dem, was sie tatsächlich machte: „Ich hätte es schon gerne anders.“

Am Beispiel der Abteilungsleiterin wird eine Entwicklung deutlich, die viele Leistungsträger betrifft: Gerade die besten von ihnen befinden sich häufig in einem Prozess, der bei harmlosen Tagträumen beginnt und in einer existenziellen Krise enden kann. Dieser Prozess ist so gefährlich, weil er unmerklich anfängt und sich über viele Jahre unbemerkt hinziehen kann. Es lohnt sich, die dahinter stehenden Mechanismen zu erkennen, um – anders als die Versicherungsmanagerin – rechtzeitig einen erfolgreichen Lösungsweg zu finden. Ganz gleich, an welcher Stelle dieses Prozesses Sie gerade stehen: Wenn Sie sich der Gefahr bewusst werden und es richtig anpacken, können Sie jederzeit aus der aktuellen Situation ausbrechen und den Weg zu Ihrer Idealposition in Angriff nehmen.