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Kapitel 10

Auf Schatzsuche: Weitere Potenziale heben

Noch einmal gilt es, Verborgenes an die Oberfläche zu holen. Motive, Werte und Stärken haben wir aufgedeckt, doch es existieren noch weitere Besonderheiten und Potenziale, die aufzuspüren sich lohnt. Je mehr innere Schätze gehoben sind, desto spannender werden die Erkenntnisse: Mehr und mehr fügen sich die einzelnen Teile zu einem stimmigen Gesamtbild.

„In meinem Leben herrscht nur Kraut und Rüben“, klagte eine Bereichsleiterin, „da gibt es keinen roten Faden. Ich habe kein festes Thema, kann nichts wirklich – und halte nichts und nirgends durch. Alle ein bis zwei Jahre wechsle ich die Firma. Ich bin wohl ein hoffnungsloser Fall.“ Auf den ersten Blick sah ihr Lebensweg tatsächlich ziemlich chaotisch aus – ständige Wechsel, unterschiedliche Positionen, immer wieder andere Firmen.

Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass es bei jedem Menschen einen roten Faden gibt, wenn man nur lange genug sucht und tief genug gräbt. Meine mehr als 20-jährige Erfahrung mit dem Thema bei mehr als 1.000 Prozessen bestätigt, dass sich am Ende immer ein stimmiges Bild ergibt. So fiel es mir leicht, der verzweifelten Bereichsleiterin zu antworten: „Auch bei Ihnen gibt es eine Konstante, die sich durchzieht, selbst wenn vordergründig alles aussieht wie Kraut und Rüben. Wir müssen sie nur finden.“

Die Frau war skeptisch, aber auch neugierig. „Erzählen Sie doch einmal, was Sie alles so gemacht haben“, forderte ich sie auf. Nun berichtete sie von ihren wiederholten Wechseln, wie sie Aufgaben übernahm, nach spätestens zwei Jahren jedoch wieder etwas Neues begann. Ich fragte weiter und wollte wissen, was ihr bei der jeweils neuen Stelle gefallen habe. Mit der Zeit kristallisierte sich tatsächlich eine typische Abfolge heraus: War die Managerin vor eine neue Aufgabe gestellt, packte sie jedes Mal die Neugier. Engagiert ging sie die Aufgabe an, war auch erfolgreich, doch genau dann wurde ihr langweilig – und sie ist gegangen.

Wie es aussah, lief immer wieder der gleiche Prozess ab: Sie begeisterte sich für eine neue Aufgabe, die Begeisterung hielt immer etwa ein Jahr an – wobei das Thema ihr relativ egal war. Sie stürzte sich in die Aufgabe, baute etwas auf; wenn es dann stand, verlor sie die Lust. Im Gegensatz zu einem Optimierer oder Sanierer war sie ein typischer „Aufbauer“. „Offensichtlich brauchen Sie viel Abwechslung“, resümierte ich. „ Sie arbeiten sich in etwas ein, bauen es auf – und wenn es steht, gehen Sie gelangweilt wieder weg. Dann wollen Sie wieder etwas komplett Neues.“

Der Bereichsleiterin leuchtete das ein, was ihre Stimmung jedoch kaum aufhellte. Damit hätten die Kollegen ja letztlich doch recht, wenn sie ihr zu verstehen gaben: „Du hälst nicht durch! Du weißt nicht, was du willst! Mit dir kann man nichts anfangen!“

„Das lässt sich auch ganz anders sehen“, entgegnete ich. „Sie nehmen eine spannende Herausforderung an, managen diese Aufgabe erfolgreich, schließen sie nach anderthalb Jahren ab – und wenden sich der nächsten Herausforderung zu. Klingt doch schon ganz anders? Könnte darin nicht sogar eine besondere Stärke liegen?“ Zugebenen, die Sache hatte einen Schönheitsfehler. Im Lebenslauf sah der ständige Unternehmenswechsel nicht gut aus. Doch auch dieser Punkt war lösbar. „Wenn ständig neue Herausforderungen wirklich Ihre Leidenschaft sind, benötigen Sie hierfür ein passendes Unternehmen, bei dem Sie von Projekt zu Projekt wechseln“, schlug ich vor. „Das könnte zum Beispiel eine Agentur oder Unternehmensberatung sein. Oder ein Unternehmen, das intern sehr viel mit Projekten arbeitet.“
Die Bereichsleiterin blickte mich überrascht an. So habe sie es noch nie betrachtet, entgegnete sie. „Ich dachte immer, ich müsste mich mit einem Thema profilieren.“

Das glauben viele, die nach Orientierung im Leben suchen. Sie haben die Vorstellung, sie müssten sich auf ein bestimmtes Thema fokussieren, etwa in der Art: „Ich werde Experte für…“ Sie glauben, man müsse sich ähnlich wie ein Informatiker, Fachanwalt oder Arzt auf ein Thema spezialisieren, um sich eine Art Alleinstellung zu erarbeiten. Wenn es kein spezielles Thema ist, dann sollte es zumindest eine bestimmte Aufgabe, Tätigkeit oder Methode sein. So liest man es ja auch in diversen Marketing-Ratgebern. Werden die nach Orientierung suchenden Menschen nicht fündig, überkommt sie schnell das Gefühl: „Ich kann nichts Besonderes“. Dabei übersehen sie, dass die besondere Kompetenz an ganz anderer Stelle liegen kann – etwa im Beherrschen eines Prozesses oder einer bestimmten Kombination von Tätigkeiten, Aufgaben oder Eigenschaften.

Diese Besonderheiten erschließen sich meistens nicht auf Anhieb; sie sind sozusagen etwas Dahinter- und Darunterliegendes. Dennoch kann es sehr lohnend sein, sich ihnen zu widmen – zusätzlich zu den bereits aufgedeckten Werten und Stärken. Manchmal stoßen wir dabei zu unserem ganz individuellen Kern vor, der später in die Vision und ideale Position eingeht. Ich spreche deshalb gerne von „Schätze heben“.